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Friedrich Meibert

Begegnung
Über eine Werkreihe der Malerin und Graphikerin Magdalena Grandmontagne

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Einen Schritt, einen weiten Schritt über einen Bleiteppich! – Dann befand ich mich im Ausstellungsstand der Graphikerin, der Malerin Magdalena Grandmontagne. Aber nicht nur auf der Kunstmesse in Pirmasens – wie zu erfahren war – auch an anderen Orten – in Ausstellungen etwa – legte die Künstlerin Bleitafeln aus. Ein Besucher hätte seinen Schritt auf sie setzen sollen, denn die entstehenden Prägungen dokumentierten Abdrücke seiner Bewegungen, sein Hin und Her, sein Vor und Zurück. «Druckstöcke»für einen späteren Radierprozess entstanden so, die der Künstlerin –nach weiterer Bearbeitung – bei der Entstehung ihrer Bilder dienten. In ihre Werkaussagen mich vertiefen zu können, waren mein Wunsch und mein Bestreben bei weiteren Besuchen. Im Atelier Magdalena Grandmontagnes – doch auch in ihren Ausstellungen der folgenden Jahre – wurde ich auf Werkreihen aufmerksam, denen ein besonderes Interesse der Künstlerin galt. Dies begriff ich im Gespräch mit ihr und – indem ich beobachten konnte, wie sie ihren Bildern und den Bleimatrizen begegnete: «Meine Arbeiten entwickeln sich aus meiner ursprünglichen Leidenschaft für die Radierung. Dabei benutze ich das Walzblei wie eine Radierplatte; als Filter gleichsam oder Kondensator genutzt, vermittelt das Metall zwischen Realität und Abbild, zwischen einer konkreten Vorlage oder einem konkreten Vorgang und der weiteren – dem Radierprozess folgenden – Gestaltung.» Magdalena Grandmontagne bekannte sich mit ihrem Zitat zur Radierung als dem von ihr bei der Gestaltung ihrer Bildwerke bevorzugten technischen Prozess . Nur nach dem technischen Arbeitsvorgang – nach dem WIE der Entstehung – hatte ich gefragt, aber mich beschäftigte eine weitere Frage, der ich kritisch analysierend beim Betrachten der Arbeiten nachging. Ich wusste, dass ich mich in der Begegnung mit diesen Werken in einen eigenen Vorgang kreativen Aufnehmens der Aussage dieser Werke begab. Betrachtend, auf der Suche nach der Formensprache dieser Werke – in diese mich einbeziehend – änderte sich der stille Akt des Betrachtens in einen intellektuellen Vorgang der Wahrnehmung – wurde Wort, wurde Sprache. Würde ich in einem hermeneutischen Fragen mit dem übereinstimmen können, was Magdalena Grandmontagne für ihre künstlerische Mitteilung hielt? – Was hat sie «sagen», was hat sie mitteilen wollen? – War letzteres für die Künstlerin überhaupt eine zulässige Frage, eine wichtige, eine bedeutende Frage?

 

I.

Der Reiz der spontanen Aufnahme dieser Werkreihe durch deren ästhetische Wirkung auf mich, den Betrachter, das lediglich vom Gefühl getragene Eingenommensein wurde erweitert, ja wohl dann auch abgelöst durch eine aufmerksame Analyse und ein in Worten und Sätzen Aussprechen des erneut Wahrgenommenen. Auf der Suche nach der Formensprache dieser Kunst! Wodurch wurde die Bild-Gestalt geformt, WAS hat dem Bild-Werk Gestalt gegeben? Zunächst: Es waren während der Jahre meiner Bekanntschaft mit der Künstlerin drei Werkreihen entstanden. Sie zeigten mir, dass Magdalena Grandmontagne für ihre «Druck-Werke» – in früheren Phasen – zwei Vorlagen (Motive) und in neuerer Zeit eine dritte Vorlage – ein drittes Motiv – gesucht hatte. So wählte sie für ihre Matrizen anfangs Motive, die sie in der trivialen Alltagswelt gefunden hatte: etwa ein mit der Zeit verwittertes Gestein an einer Mauer oder auf einem Straßenpflaster oder eine im Laufe der Jahre abgenutzte Oberfläche einer Türschwelle. Zugleich jedoch wählte sie auch Spuren, die mit historischen Erinnerungen versehen waren: eine auf altem Gemäuer eingemeißelte Schrift oder Zahl etwa. Auf diese Untergründe legte sie die Bleitafeln, und durch Bearbeiten der Bleioberfläche prägte sich der Untergrund in das weiche Metall ein. Die Verfahren der Bearbeitung änderten sich: Hier war es der Schlag eines Hammers, dort waren es Passanten, die über die Tafeln gingen und dem Blei – dem weichen Material – durch ihre Schritte den Untergrund einprägten und neben dem Abdruck des Untergrundes ihre eigenen Tritt-Spuren hinterließen. Die Künstlerin hatte gezielt nach Vorlagen für ihre Matrizen zu diesen «Abdruckbildern» gesucht. Ein mit System verfolgter Vorgang: Was dem «Alltagsauge» verborgen blieb, was nicht mehr wahrgenommen wurde: Die «kleinen» Dinge und weiterhin Zeugnisse der Vergangenheit – teils Banales, teils also geschichtlich Bedeutendes – nahm sie in ihr Werk auf. Rezeption vergangenen Kulturgutes in das entstehende Bild einzubeziehen, wies hier bereits auf den kreativen, neuschaffenden Prozess – und ebenfalls auf die Formensprache – in diesem Kunstschaffen hin. Auf den Bleitafeln waren Reliefs entstanden, die Zeitspuren – Geschichte gewordenes – gespeichert hatten. Sie bildeten im Verlauf der nachfolgenden Bearbeitung die Grundlage des Bildwerkes «Quand le plomb stoppe le temps». Kunst sichert Vergangenes und macht durch den «Blick zurück» Gegenwart als gewachsene, in eine Tradition eingebettete Gegenwart bewusst. Vergangenes bleibt gegenwärtig, Unbeachtetes oder dem Vergessen Überliefertes wird so nicht museal aufbewahrt, sondern harmonisch in die Gestaltung des Bild-Werkes einbezogen, und zwar in der Weise, dass im Geflecht von Linien und im Farbenspiel der Flächen Vergängliches und Vergangene als «Energeia» – als «wirkende Kraft» – anwesend gestaltet wird und anwesend lebt. Das in die Bleitafel geprägte Motiv diente der Komposition; es wurde im Radierprozess an verschiedenen Stellen der Bildfläche (der Leinwand oder dem Papier) unterlegt und zeigte – manchmal durch Drehung verfremdet – Suchbildeffekte. Im Schaffen – Erinnerungen und Gedanken – wuchsen Magdalena Grandmontagnes künstlerische Arbeiten, entstanden «Abdruck und Eindruck nebeneinander, einerseits objektives Zeugnis und andererseits subjektive und geistige Verarbeitung.» (M.G.) In dieser Zeit blieben die Arbeiten der Werkreihen insgesamt noch flächig und durch einen graphischen Stil charakterisiert: Ein graphischer Bildaufbau, der sich in einem Werk vom unteren Rand her zur Bildoberkante verjüngte, sich in einem anderen in konzentrischer Kreisbewegung um eine Mitte ordnete. Eine Beobachtung, die eben in den Bildern sich zeigte, die von Matrizen gedruckt wurden, welche ein Tänzer im Tanz auf das Blei geprägt hatte. Zwischen den dunklen graphischen Zeichnungen, deren Striche in unterschiedlicher Breite und farblicher Dichte über die Arbeiten verliefen, nisteten sich farbige Flächen, die in einem Farbton – lediglich durch Farbnuancen verändert – die Kompositionsgestaltung bekräftigten.

 

 

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II.

In den frühen «Abdruckbildern» hatte die Künstlerin immer wieder Passanten und Besucher daran beteiligt, die Matrizen zu prägen. Sie hatte den «Zuschauer» gleichsam zum «Mitspieler» gemacht und insofern ihre Intention – Vergangenes und Gegenwärtiges zu sammenzuführen – dem Beteiligten – ob dem Akteur oder dem späteren Betrachter –, da er eine Wirklichkeit körperlich erfuhr, welche die Künstlerin im Bild medial umsetzte, bewusster gemacht. Den Charakter eines prozessualen Entstehens unter Beteiligung eines anderen, eines weiteren Mitagierenden – wie in der Performance-Kunst – hoben die «Tanz-Abdruckbilder» deutlicher noch hervor, und es entstand mit ihnen zugleich ein Hinweis auf eine besondere Weise der Wahrnehmung. Bei einer Tanz-Performance prägte ein Tänzer seine Choreographie in das weiche Material des Walzbleis ein: Kratzer und Abrieb, Dellen und Schleifspuren verletzten die Oberfläche des Metalls. Wahrgenommen – gehört – wurde eine Musik, wahrgenommen – gesehen – wurde die Folie, auf der sich die Spuren der Tanzbewegungen abformten: Vergehen und Verharren, niemals wiederkehrend und doch aufgehoben, erstarrt. Auch diese Bleitafeln bildeten als Matrizen «Assoziationsteppiche».

Gehörtes und Gesehenes – die Welt ist Klang und Licht, Ohr und Auge: Künstler öffnen uns die Sinne. Durch Performance-Aktionen vor den Augen eines Publikums – ja, durch Einbeziehen des Besuchers in die Teilhabe an einem Ereignis – wurden abgestumpfte Sinne geweckt, wurden zunehmend Wahrnehmungsmöglichkeiten – Hören und Sehen – aktiviert. Es wurde durch das Medium des Tanzes auch hier eine Erfahrung weitergegeben. Wie der Tänzer den Klangwelten folgte, sie umsetzte durch «körperliche» Gesten in die Bewegungen seines Tanzes verbanden sich Hören und Sehen. Und noch einmal dann, wenn die Künstlerin die «musikalischen» Züge auf der Bleimatrize in einem Druckprozess auf Papier oder Leinwand übertrug und farblich bearbeitete.

Wenn sie den Klangwelten nachfragte: Hier eine feste Markierung – ein Druck – opak geprägt, dort der schwere Einsatz, der sich über eine feiner auslaufende Linie dehnte – Kraft und Bewegung übertragend. Töne wurden farblich variiert und eingekreist oder über eine Fläche geführt. Das Bild-Werk wurde zu einem musikalischen Alphabet: Schichtungen von horizontalen und vertikalen Prägungen häuften sich hier, zentrale Figurationen zeigten sich dort, es zeigten sich weiche und zarte Stufungen. – Die Bilder wurden Zeugnis eines faszinierenden und unauflöslichen Miteinanders von Rhythmus der Musik, tänzerischer Inspiration und taktiler Aufnahme und graphischer, malerischer Niederschrift, in stetiger Wechselwirkung. Magdalena Grandmontagne widersprach meiner Bemerkung, dass man die Performance – wo sich Gehörtes in einer spontanen Bewegung selbsttätig weiter- und niedergeschrieben habe – miterlebt haben müsse, um in der graphischen Niederschrift verborgene Klangwelten schwingen zu hören.

 

III.

Seit kurzem nun suchte Magdalena Grandmontagne eine neue Vorlage – ein neues Motiv – für ihre Bleimatrizen, für ihre Bilder. – Das eine wusste ich: Es sollte das Walzblei auf die Rinde eines Baumes genagelt werden. – Was konnte daraus werden? – Und als ich nacheinem Anruf: «Ich habe neue Bilder. Können sie ins Atelier kommen? Ich möchte ihnen die Bilder zeigen.» – ein weiteres Mal in das Atelier der Künstlerin kam, lag auf dem Tisch eine geprägte Bleitafel. Die neuen Druckvorlage hatte die Künstlerin an/in der Rinde ‹ihres› Baumes gefunden. «Dieser neben dem Teich dort ist ‹mein› Baum. Er spiegelt sich im Teich, und das Wasser des Teiches reflektiert auf seiner Rinde. Das Licht der Sonne verändert die Farben der Rinde beständig, und das Licht des Tages fächert zuweilen sein Grün undBraun in helle und dunkle Farbtönungen auf.»

Wahrnehmung und Erlebnis! – Auf dem Ateliertisch lag die neue Matrize. Mich überraschte es, dass mir die Matrize gleichsam «vorgestellt», persönlich bekannt gemacht wurde, und zwar mit einer Bewegung der Hände, die sich über der flachen Metalltafel wölbten und zur Seite ab sich bewegten, als umschlössen sie das Rund des Baumstammes: eine Sympathie, vielmehr eine Empathie – bereit und ebenso fähig, sich in den Baum einzufühlen, ihn aufzunehmen. Mit der sensibelsten Stelle ihrer Hand, mit der Kuppe ihrer Finger – mit dem Zeigefinger aufwärts, mit dem Ringfinger, der am wenigsten leicht etwas verliert, abwärts – fuhr sie den Linien nach, als suche sie etwas, eine Bewegung, die in die Richtung des Wachsens führte. Eine Dehnung des Baumes zum Licht! – Sie führte die Finger in die Höhlungen der Platte, legte den Handballen hinein, als müsste sie die Vertiefungen nacharbeiten. – Oder? – Oder wollte sie die Kraft erspüren, dieser nachspüren, die aus der Mitte des Baumes gekommen war und die Rindenoberfläche gedehnt, aufgebrochen und so borkig gestaltet hatte, wie diese im Blei jetzt «gespeichert» war, – verborgen in dem weichen Metall eingefangen lebte? – Oder? – Oder dachte sie daran, dass – in der Wechselwirkung zwischen Realität und Abbild auch die Zeit-Dauer des Wachsens des Baumes – die Lebens-Zeit – hier gebannt sein und empfunden werden könnte? Einige hochformatige Bilder der neuen Werkreihe – bereits über Keilrahmen gespannt – lehnten an einer Atelierwand. Vor meinen Auge sah ich die Hand der Künstlerin, als fahre sie – wie soeben über das Blei – jetzt über die Linien und die Flächen der Leinwand. Wieder waren Abdruckbilder entstanden, entstanden von einer Bleimatrize, welche die Struktur der Rinde eines Baumes aufgenommen hatte. Ein neues Motiv freilich hatte die Künstlerin gesucht, gefunden hatte sie es in der Natur, doch der Grundklang der Aussage – die in der Identität der Künstlerin gegründete Formensprache – war gleich geblieben. Und dennoch überraschten mich diese neuen Werke in ihrer veränderten Bild-Gestalt. Was hatte sich ereignet? Eine lyrische Zartheit war an die Stelle der Herbheit in den Bildern der früheren Werkreihen getreten. Insbesondere die Breitformate, die ebenfalls mit diesem Baumabdruck gestaltet worden waren, – die jüngsten Arbeiten Magdalena Grandmontagnes – zeigten es mir: Hier war eine Künstlerin zur Ruhe gekommen. In einer symbiotischen Verbindung mit der Natur hatte sie den Weg gefunden für ein malerisches Werk: Stärker als bei der Suche, bei der Wahrnehmung von Motiven früherer Bilder waren hier Wahrnehmungs- und Gefühlsebene zusammengefallen. Was jeder Baum hätte leisten können: Mit seiner Rinde die Vorlage für eine Matrize herzugeben, wurde hier zum Erlebnis; die Suche nach einer neuen Vorlage – nach einem neuen Motiv – zum Erlebnis führen, konnte nur dieser Baum, «ihr» Baum. Was hatte sich ereignet? – «Grau-grün müsste eigentlich immer dominieren, denn – sehen sie her – alles ist grün: der Stein dort, der Baum draußen, meine Bleitafeln hier – sehen sie her!» (M.G.) Meinen Hinweis auf den Prozess der Photosynthese tat die Künstlerin mit einer Handbewegung ab, und ich dachte: «Wie banal man doch fragen kann!» Im Übrigen: Es war nicht «alles» grün; da gab es gleichwohl das Blau! Hier ein Bild im Breitformat – zu den Rändern hin offen – eine helle mittlere Zone, in der ein Weiß – zugleich mit einem perlmuttstrahlenden Schimmer – dominierte, eingebunden zwischen zwei Blauzonen: eine vom unteren Rand her aufwärts geführte in einem dunkleren und eine im oberen Bildteil in einem helleren Blauton. Leicht nach oben ausschwingend, gab diese Komposition dem Werk räumliche Tiefe. Es schien durch ein – insbesondere – nach der Horizontalen, doch auch nach der Vertikalen orientiertes rhythmisches Atmen und Schwingen zu leben. Mit diesen Farben, durch diese Farben war ein malerisches Werk entstanden, das zu den Sinnen sprach – ein Werk von ästhetischer Schönheit. Die graphisch-zügigen Linien blieben – nun in einer skizzenhaften Offenheit – auch in dieser Werkreihe erhalten, gaben dem Bild Kraft und bewahrten weiterhin den Zusammenhang seiner Fläche, vor allem zeigte sich aber jetzt in einer malerischen Verdichtung der Farbfelder ein neues Raumverhältnis: ein lockeres, freies Gefüge insgesamt. Der Bildraum wurde in die Tiefe seiner eigenen Farbe geführt. Die Farbwerte selbst, stets reduziert gehalten – eine Viel- oder Buntfarbigkeit meidend –, gaben den Bildern durch unterschiedliche Farbdichte und die Nuancen der Tonwerte eine in die Raumtiefe gezogene warme Lebendigkeit.

 

 

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IV.

Die Formensprache – die prägende Kraft – in Magdalena Grandmontagnes Bild-Gestalten.

Zum Abschluss: Genügte es für eine Begegnung mit den Bild- Werken Magdalena Grandmontagnes, ihre Kunst lediglich – wie es bisher im Wesentlichen hier geschehen war – als ästhetische Objekte wahrzunehmen? Müsste nicht in hermeneutischem Fragen und Erklären ästhetische Wahrnehmung in einem weitergefassten Sinne begriffen werden, so dass Wahrnehmung mehr ist als ein naives Sehen, vielmehr eine darüber hinausführende geistige Tätigkeit, ein kontemplatives Sehen – ein Schauen? So käme ich denn zurück zu meiner anfangs gestellten Frage: Ich möchte die Mitteilung der Künstlerin in diesen Werken lesen lernen und in meineSprache aufnehmen.

Drei Werkreihen hatte Magdalena Grandmontagne geschaffen. Sie bestanden aus Bildern, die in einem besonderen «Radier»- und Abdruck-Verfahren hergestellt und graphisch, malerisch gestaltet worden waren. Die Künstlerin hatte ihre Arbeit mit der Entscheidung für Druckvorlagen begonnen und in der Folge für Bildabzüge Bleitafeln vorbereitet. Ihre Entscheidung für eine Vorlage wurde zur Entscheidung für ein Motiv, das Bild-Gestalt annehmen sollte. Da Magdalena Grandmontagne sagte: «Ich arbeite in einem stetigen Wechsel zwischen Phasen der abstrakten forschenden Darstellung eines Gedankens und der malerischen Ausarbeitung des Stoffes. Mein Grundthema ist das Begreifen, Fühlen und Sichtbarmachen von materieller Wirklichkeit.» – wurde mir bewusst, dass ihre kreative – ihre von einer Formensprache geleitete – künstlerische Mitteilung hier begann. Aber nicht nur die Motiv-Wahl – eine sinnliche Tätigkeit der Augen und eine rational diskursive des inneren Sinnes –, sondern auch die Umsetzung des Motivs, der ästhetische Umgang mit ihm – die Aufnahme in die künstlerische Arbeit also – sagten etwas aus über die gestaltbildende Kraft – über die Formensprache dieser Künstlerin. In ihrem Atelier neben den Bildern die Bleitafeln zu sehen, erstaunte im Grunde nicht. Doch sie in Ausstellungen zu finden? Überraschte ihre Anwesenheit hier ebenso wenig? Hier lagen sie nun, ihre «Gedächtnisse aus Blei» – wie Magdalena Grandmontagne die Matrizen auch nannte – und gaben Zeugnis. Doch wovon? Freilich auch von einem Arbeitsablauf, durch den dem Bild-Werk Gestalt gegeben worden war. Doch verwiesen diese Bilder nicht zugleich und insbesondere durch das Nebeneinander von Matrize und Bild auf einen dialektischen Prozess? Darauf, das Gegenwart ohne eine Wechselbeziehung mit Herkommen, mit Tradition eine leere, ja eine inhumane Gegenwart, eine substanzlose sei? Und gaben diese Werke, in denen ja durch einen performativen Vorgang Mithandelnde in die Gestaltung der Matrizen eingebunden waren, nicht ebenso Zeugnis davon, dass geschichtliches Handeln auf Sozietät zählen müsse? Bestätigten nicht dies gerade die «Tanz- Abdruckbilder», da durch den Hörsinn mehr noch als durch den Sehsinn menschliche Gemeinschaft entstand und geprägt wird? Abdruckbilder – Ergebnisse des künstlerischen Schaffens Magdalena Grandmontagnes in unmittelbarer, sinnlich-greifbarer Darstellung sichtbar – nicht als theoretische Erkenntnis – nein – als Symbol, als Metapher für eine geschichtliche Grunderfahrung, für eine humane Lebenserfahrung. In der dritten Werk-Reihe, wo die Künstlerin ihr Motiv in der Natur gesucht hatte, wo sie in ihrer Formensprache dem Organischen gestaltende Kraft einräumte, füllten die Bild-Werke subjektive, sinnenfrohe Gefühlsstrukturen: – Wie sprach doch das Blau vom Wasser – wie das Grün von der Natur, vom Organischen überhaupt – wie kündeten Linienführungen vom Wachsen! Der diskursive Prozess künstlerischen Schaffens fand sich hier in harmonischen Bildern wieder: Ausdruck eines Lebensverständnisses – an der Vorlage, am Motiv bereits wird es deutlich – in der Bild-Gestalt als Symbol, als Metapher begreifbar: Dass Geistiges vom Körperlichen nicht getrennt werden dürfe. Und diese Selbst-Erfahrung ließ sie nicht emanzipatorisch aufbegehren: nicht Befreiung aus einer Abhängigkeit teilten die Werke mit, sondern das Bewusstsein von einem harmonischen Eingebettetsein zeigten sie – bejahten den Wechselbezug zwischen Geistigem und Körperlichem. Bestätigte nicht schon die Bearbeitung von Matrizen an der Rinde eines Baumes – schwer war sie, mühsam und zeitdauernd –, wie die Künstlerin – auf körperlich erlebbare Weise wirkend – diese Lebens-Wirklichkeit erfuhr? Vom Begreifen zum Begriff! Und dialogisch wechselnd: Von der Idee zum gestalteten Bild-Werk!

 

V.

Begegnet bin ich Bildern einer Werkreihe, zu der die Graphikerin und Malerin Magdalena Grandmontagne in den letzten Jahren stets zurückgekehrt war und an denen sie immer wieder gearbeitet hatte. Bezogen auf die Elementarwerte der bildenden Kunst, auf Farbe, «Punkt und Linie zu Fläche» (Kandinsky) und ebenfalls unter Einbeziehung des performativen Entstehungsprozesses der Werk-Gestalten hätten sich die Arbeiten der Künstlerin rein visuell erleben und in Sprache bringen lassen, aber gerade diese Bild-Werke drängten darüber hinaus auf eine Lebenserfahrung, dass ich in ihnen auf die Begegnung des Menschen mit Natur und geschichtlicher Welt treffen sollte. So stand neben der Sicht auf die ästhetische Erscheinung des Bildes zugleich die Erkenntnis, dass das Wesenhaft-Gemeinte in der Kunst Magdalena Grandmontagnes reflektierend zu rezipieren sei.